Türchen 11

Erfundene Geschichten rund um das große Geschäft bei den Mädels. Hier könnt Ihr Eurer Fantasie freien Lauf lassen!
Antworten
Benutzeravatar
bluemoon
Moderator
Beiträge: 578
Registriert: 17 Jul 2014, 11:13
Geschlecht:

Türchen 11

Beitrag von bluemoon »

11.

Einige Stunde später trieb uns der Hunger aus dem Bett. Antoinettes Wunde verheilte gut und machte ihr kaum noch zu schaffen. Dass sie in ihrer Beweglichkeit nicht eingeschränkt war, hatte ich ja gerade ausgiebig testen können.
Statt schon wieder in der Kammer oder in der Gaststube zu essen, beschlossen wir, in die Stadt zu schlendern und zu sehen, ob wir dort etwas Essbares auftreiben könnten.

Als wir aus der Tür traten, stolperte ich fast über einen kleinen, zerlumpten Jungen, der auf der Schwelle gesessen hatte. „Hoppla!“, rief ich erschrocken, „hast du dir wehgetan?“
Der Knabe starrte ängstlich zu Boden und gab keine Antwort.
„Vielleicht kann er nicht sprechen?“, wandte ich mich zu Antoinette um, die nun wieder als Mann verkleidet hinter mir stand.
„Er ist wohl eher verdattert, dass du ihn nicht mit einem Fußtritt weggescheucht hast“, schmunzelte sie. Ich verkniff mir eine Bemerkung über die hier überall herrschende Gewalt Schwächeren gegenüber. Standesgemäß ging ich voraus, während mein ‚Knappe‘ mir in angemessenem Abstand folgte.
Am Rheinufer hatte ein Gasthaus Tische und Bänke unter eine riesige Linde gestellt. Behaglich seufzend ließ ich mich nieder. Antoinette setzte sich mir gegenüber und wir genossen jeder ein kühles Bier und schauten träge dem dahineilenden Rhein zu. Währenddessen warteten wir auf den Wildschweinbraten, den uns der Wirt empfohlen hatte.

Mein Knappe machte mich auf den Knirps aufmerksam, der uns gefolgt war und sich nun an die Hausmauer drückte.
Der Wirt trug gerade eine Platte mit dem Essen heraus und bemerkte unsere Blicke.
„Was lungerst du hier herum und begaffst meine Gäste“, polterte er los, „dir werd´ ich Beine machen, Bengel!“
„Ist schon gut, Wirt“, fiel ihm Antoinette ins Wort, „ich kümmere mich darum. Hast du Hunger und Durst, Kleiner? Na, komm her und setz dich zu uns. Der Wirt bringt gleich noch einen Becher Dünnbier für dich. Und mein Herr kann ruhig noch eine weitere Mahlzeit springen lassen.“
Dem Wirt fiel der Kinnladen herunter, als mein Knappe so respektlos in meiner Gegenwart redete.
Ich zuckte die Schultern und sah ihn treuherzig an. „Es ist heutzutage nicht leicht, gutes Personal zu bekommen, wisst Ihr.“ Ich beugte mich zu ihm hin und flüsterte so laut, dass Antoinette es hören konnte: „Ich sage euch: Manchmal benimmt er sich schlimmer, als ein böses Eheweib.“ Ein schmerzhafter Tritt gegen das Schienbein ließ mich aufjaulen.
Kopfschüttelnd trollte sich der Gastronomie-Manager.
Der Junge stand immer noch an der Hauswand. Erst als Antoinette ihm ein Stück Fleisch und einen Laib Brot hinhielt, sprang er vor, schnappte sich blitzartig die Sachen und rannte wie von Furien gejagt davon.
„Der Kleine ist vorsichtig“, sagte ich gedankenverloren.
„Recht hat er“, bestätigte Antoinette, „den hohen Herren kann man nicht trauen, auch oder gerade, wenn sie einem etwas schenken wollen.“

Als wir uns schließlich satt und zufrieden zurücklehnten, war der Knirps wieder da und beobachtete uns wie zuvor aus sicherer Entfernung. Antoinette streckte sich, stand betont langsam auf, ging auf das Gasthaus zu und verschwand um die Ecke.
Kurze Zeit später war lautes Geschrei zu hören. Sie hatte das Kerlchen um den Bauch gepackt und trug ihn zu mir herüber. Dabei trat, spuckte und biss der Junge um sich, dass sie alle Mühe hatte, ihn nicht fallen zu lassen. Schließlich packte sie ihn am Genick wie eine Katze ihr Junges und setzte ihn unsanft auf die Bank.
Nun war er still und schaute uns mit großen Augen ängstlich an.
„So, jetzt will ich wissen, warum du uns verfolgst“, sagte sie streng, „du hast etwas zu essen bekommen und das Bier hast du ausgeschlagen. Der Hunger allein kann es also nicht sein. Nun rede, bevor ich dir die Zunge herausschneide!“ Drohend zog sie ihr Messer.

Dem Jungen stiegen Tränen in die Augen, aber er sah mich und nicht Antoinette an, als er stockend ein paar Worte hervorpresste: „Meine Schwester – sie ist krank. Und Ihr seid doch ein Medicus …“
„Ja, das bin ich“, antwortete ich so ruhig und freundlich, wie ich konnte.
„Vater schlägt mich tot, wenn er erfährt, dass ich zu Euch gegangen bin. Aber das ist mir egal. Sie stirbt, wenn Ihr ihr nicht helft!“, rief er verzweifelt.
Antoinette und ich sahen uns an.
„Wo ist deine Schwester denn jetzt?“, fragte ich.
„Drüben am Altrhein, in unserer Hütte.“
„Führe mich hin!“, befahl ich, „und Antoine: Bezahle die Zeche und hole meine Medikamentenkiste aus der Herberge. Wir treffen uns am Altrhein.“
„Warte, Pirmin, das ist gefährlich“, warnte sie hastig, „du weißt nicht, was dich dort erwartet. Es könnte eine Falle sein.“
„Lässt sich wohl nicht ändern.“ Ich zuckte die Schultern.

Der Junge rannte voraus und ich hatte alle Mühe, ihm nachzukommen. Vielleicht hätte ich doch das Studentenleben in Heidelberg besser dazu nutzen sollen, etwas mehr für meine Fitness zu tun …
Die windschiefen Bretterbuden, zu denen ich dem Jungen folgte, konnte man nicht als ‚ärmlich‘ bezeichnen – das wäre noch viel zu positiv ausgedrückt. Aus ihnen schrie vielmehr das nackte Elend.

Vor einem verfallenen Verschlag, in dem man oben in der Stadt nicht einmal Feuerholz gelagert hätte, blieb er schließlich stehen. „Da drin?“, fragte ich. Er nickte.
Ich fasste mir ein Herz, schlug den ausgefransten Leinensack zurück, der als Türersatz diente, und trat ein. Halb rechnete ich damit, dass mir aus der verrauchten Düsternis ein Messer in den Leib gestoßen wurde, oder ein Knüppel auf meinen Kopf herabfuhr.
Stattdessen hörte ich erschrockenes Keuchen, Scharren, Wispern, während ich darauf wartete, dass sich meine Augen an das Dunkel gewöhnten.
Das Erste, was ich sah, war das rötliche Glimmen eines Herdfeuers. Die Hütte hing voller Rauch, einen Abzug gab es nicht. Ein grober Tisch in der Mitte, ein paar Kisten drum herum, auf denen Menschen hockten, die mich schreckerfüllt anstarrten, als wäre ich gerade mit Pech und Schwefel aus einer Erdspalte gekrochen. Die meisten waren Kinder.

„Guten Abend allerseits!“ Etwas Dämlicheres fiel mir nicht ein. „Wo ist die Kranke?“
Unwillkürlich wanderten die Blicke der Leute zu einer stockdunklen Ecke hinüber. Ich zwängte mich zwischen Wand und Tisch hindurch. Jemand zog ein Stück Holz aus der Glut und ging mir mit dieser behelfsmäßigen Fackel voraus.
Wir gelangten in einen winzigen, niedrigen Anbau. Darin lag, auf einer Strohschütte, ein kleines Mädchen. Ich schätzte sie auf höchstens fünf Jahre. Sie war so mager, dass die Haut über den Knochen spannte.
„Ich brauche mehr Licht“, murmelte ich und kniete mich neben das Kind.
Die Person mit dem brennenden Holz machte sich über mir zu schaffen und schob ein paar Bretter des baufälligen Daches zur Seite. Die Strahlen der tief stehenden Sonne fluteten herein – so grell, dass ich einen Moment die Augen zusammenkneifen musste.
Als ich sie wieder öffnete, hatte sich der Großteil des Rauchs verzogen.
Das Mädchen war apathisch, reagierte kaum auf die Untersuchung. Glühend heiß lag sie da, mühsam nach Atem ringend. Ihr Herz raste und schlug unregelmäßig. Sie hatte nach meiner Einschätzung höchstens noch ein paar Stunden zu leben.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter und erinnerte mich daran, dass noch jemand im Raum war. Als ich aufsah, blickte ich in das graue, verhärmte Gesicht einer Frau – bestimmt die Mutter des Kindes.
Pipihannes
Beiträge: 419
Registriert: 14 Jan 2016, 05:25
Wohnort: Hamburg
Geschlecht:

Re: Türchen 11

Beitrag von Pipihannes »

Hallo

Und hier gleich noch die nächste Folge.

LG Pipihannes
Benutzeravatar
bluemoon
Moderator
Beiträge: 578
Registriert: 17 Jul 2014, 11:13
Geschlecht:

Re: Türchen 11

Beitrag von bluemoon »

Auch hier: Danke fürs "Nach-Oben-bringen" :)
Benutzer 2042 gelöscht

Re: Türchen 11

Beitrag von Benutzer 2042 gelöscht »

Und wieder gebiert unser Bluemoon einen neuen Handlungs-Strang, indem er diesem Jungen auftauchen und ihn uns fortführen läßt . . . toll, was soll ich da noch sagen?
Benutzeravatar
lunacy
Moderator
Beiträge: 1967
Registriert: 24 Aug 2015, 15:49
Wohnort: Niedersachsen
Geschlecht:

Re: Türchen 11

Beitrag von lunacy »

Meine Rede, es wird nicht langweilig und wie gesagt: Sehr angenehm dass nicht nur Pullern und Kacken im Vordergrund stehen, sondern eher als angenehmes und meist überaschendes "Beiwerk", wobei ich das Geschriebene hiermit in keiner Weise niederschmettern will, nichts läge mir ferner. :mrgreen:

Bin gespannt, was mit dem Mädchen ist und ob "Pirmin" ihr helfen kann.
Viele Grüße von
lunacy 8-)
Antworten