Türchen 1

Erfundene Geschichten rund um das große Geschäft bei den Mädels. Hier könnt Ihr Eurer Fantasie freien Lauf lassen!
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bluemoon
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Türchen 1

Beitrag von bluemoon »

1.


Die Vorlesung für angehende Chirurgen an der Uni Heidelberg war sterbenslangweilig.
Als ich mich vor ein paar Wochen fürs Studium eingeschrieben hatte, war alles noch neu und aufregend gewesen. Aber als klar war, dass Professor Agricola uns Studenten wieder einmal dazu nötigen würde, seine „höxt wyrcksame Rezepthur“ zur Heilung offener Knochenbrüche herzustellen, fragte ich mich manchmal, welcher Dämon mich eigentlich geritten hatte, dass ich hier freiwillig die Schulbank drückte.
Melchior Agricola war Chirurgicus, Alchemist und königlicher Sterndeuter und genoss höchstes Ansehen am Hofe Friedrichs III.
Ich hatte aber schon abgebrühte Soldaten ängstlich Reißaus nehmen sehen, wenn er mit seiner Mixtur aus Froschlaich und Kameldung zur „Heilung“ anrückte …

Ich versuchte also, den gut vierstündigen Vortrag des albernen Quacksalbers zu überstehen. Während meine Kommilitonen entweder den Rausch vom Abend zuvor im Hörsaal ausschliefen oder sich die Streber eifrig auf ihren Schiefertäfelchen Notizen machten, zuckte meine Hand automatisch immer wieder zur Brusttasche des Wamses. Wie gerne hätte ich jetzt ein Smartphone gehabt, die ein oder andere Mail beantwortet, oder einfach nur in den Nachrichten gesurft! Aber in einer Zeit, in der ein Brief von Heidelberg nach Mannheim schon mal ein Jahr unterwegs sein konnte, und der Großteil der Bevölkerung glaubte, der „Grüne Mann“ sei der Geliebte der Erdmutter und kein Politiker, war derlei Kurzweil natürlich unmöglich.

So schlug ich also Tag um Tag die Zeit tot. Irgendwann würden mir meine Auftraggeber hoffentlich mitteilen, warum sie mich hergeschickt hatten - immerhin hatte die Zeitkapsel ihren Job gut erledigt und mich im richtigen Jahr abgesetzt. Was bei Weitem keine Selbstverständlichkeit war! Der Zeitfluss hatte seine Tücken und war nicht immer berechenbar. Manch einer von uns Zeitreisenden ist schon in ungemütlicheren Epochen gestrandet.

Gegen Abend ging ich zum Neckar hinunter und bog in eine namenlose Gasse ein. Meine Zimmerwirtin wartete schon mit dem Essen. Außer mir beherbergte sie noch zwei weitere Studenten und einen Zimmermannsgesellen.
Hungrig schaufelten wir das süßliche Rübenmus in uns hinein und spülten alles mit billigem Dünnbier hinunter.

Wie üblich gingen alle früh zu Bett. Die Häuser hatten winzige Fensteröffnungen, deren Rahmen mit dünn geschabten Tierhäuten bespannt waren. Selbst bei vollem Sonnenschein war es drinnen düster. Jetzt am Abend war es stockfinster. Kerzen und Lampenöl waren teuer. Und Kienspäne, die man brennend in Wandhalterungen steckte, waren eine Feuergefahr, wie meine Wirtin uns immer wieder einschärfte.
Ich vergewisserte mich, dass mein Dolch griffbereit unter dem Kopfkissen lag. Einbrüche und Diebstähle waren an der Tagesordnung und die Schriften von Galen, die ich von der Unibibliothek ausgeliehen hatte, stellten einen beträchtlichen Wert dar. Dann döste ich ein.

Ein leises Knarzen auf dem Flur weckte mich. Kaum vernehmbares Schaben an meiner Zimmertür verriet, dass der hölzerne Riegel vorsichtig angehoben wurde.
Jemand stand in meinem Zimmer.
Trotz der Finsternis nahm ich die Anwesenheit fast körperlich wahr.
Dünner Stoff raschelte leise und ein schwacher Hauch von Lavendel wehte zu mir herüber.
Ich entspannte mich.
Sekunden später wurde meine Bettdecke angehoben und meine Wirtin schlüpfte darunter.

Frau Rötlin war die etwa 30-jährige dralle Witwe eines wohlhabenden Färbers, der ein paar Monate zuvor im Suff in eines seiner Fässer gefallen und ertrunken war. Um ihr ererbtes Vermögen zu schonen und wohl auch, um nicht allein im Haus zu sein, vermietete sie Zimmer an Studenten und Handwerker. Auffallend war, dass sie nur junge, gutaussehende und einigermaßen gepflegte Burschen aufnahm. Vermutlich war ich nicht der Einzige, zu dem sie nachts zwischen die Laken schlüpfte …
Nun, ich hatte nichts dagegen.
Normalerweise verschwand sie nach dem Sex sofort wieder in ihre eigene Kammer. Diesmal aber blieb sie liegen.
„Meister Pirmin …“, begann sie zögerlich.
Die Anrede „Meister“ musste ich ihr noch abgewöhnen, schließlich war ich nur ein einfacher Studiosus.
Der „Pirmin“ nervte mich dagegen gewaltig. So einen dämlichen Namen konnte sich nur jemand in den oberen Etagen der Tempus-Organisation ausdenken. Der Name, auf den mich meine Eltern im Jahr des Herrn 2008 getauft hatten, lautete „Thoralf“. Natürlich hätte ich mit einem so unchristlichen Namen im ausgehenden 14. Jahrhundert sofort unerwünschte Aufmerksamkeit erregt, das war mir schon klar. Aber hätte es nicht ein schlichter „Johannes“ getan?
Den Namen „Pirmin“ konnte mir eigentlich nur jemand verpasst haben, der sich an mir rächen wollte.
Ich hatte da auch so einen Verdacht: Die Abteilungs-Chefin für historische Empfehlungsschreiben war eine missmutige Beißzange, die sicher seit fünfzig Jahren keinen Kerl mehr zwischen den Schenkeln gehabt hatte. Vermutlich hat sie mir nicht verziehen, dass ich mal mit ihrer niedlichen Assistentin was am Laufen hatte.
Jetzt stand also „Pirmin von der Grün“ in allen Empfehlungsschreiben.
Meine Kommilitonen nannten mich nur den „grünen Pirm“, was eine derbe Anspielung auf das männliche Glied war …

In meinem Ärger hatte ich das Flüstern der liebestollen Wirtin nicht beachtet.
Jetzt hielt sie erwartungsvoll inne und wartete auf meine Reaktion. Als keine kam, fuhr sie fort: „Die Dörrpflaumen, die ihr mir empfohlen habt, haben auch nicht geholfen und nun frage ich mich …“
Ah, das alte Lied: Die Dame des Hauses litt mal wieder unter Verstopfung.
„Werte Frau Rötlin“, unterbrach ich sie. Auch wenn wir gerade erhitzt von schamlos wildem Sex (und sehr befriedigendem, wie ich zugeben muss) aufeinander lagen, war die höfliche und korrekte Ansprache unabdingbar.
Leider wurde ich von allen möglichen Leuten um medizinischen Rat angegangen, sobald bekannt wurde, dass ich studierte. Ich konnte es den Menschen nicht verdenken, deren einzige ärztliche Versorgung darin bestand, dass hin und wieder ein fahrender Bader vorbeikam, der faule Zähne zog, einen brandigen Zeh amputierte und den Bart stutzte. Bei den Juden gab es zwar gut ausgebildete Ärzte, aber die konnte sich kaum jemand leisten. Außerdem machte man sich in beiden Religionen sehr verdächtig, wenn man Umgang mit dem jeweils anderen Glauben hatte.
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coopro
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Re: Türchen 1

Beitrag von coopro »

Wow, ich muss man in aller Öffentlichkeit sagen, dass ich das sehr toll finde, dass Du so viel Arbeit und Zeit in diesen Adventskalender gesteckt hast. Mich freut, dass Du die Geschichten so schamlos und ohne jede Beschönigung erzählst. Es wirkt echt, und menschlich, nicht kitschig und so wie man es gerne haben möchte. Ein großes Dankeschön! von meiner Seite! Im Gegenzug kann ich nur versprechen, nach allen Regeln der Kunst, technisch auf Deine Werke aufzupassen.Ich freue mich auf mehr! Ich bin begierig auf mehr! :mrgreen:
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bluemoon
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Re: Türchen 1

Beitrag von bluemoon »

Danke fürs Lob - dabei hat die Geschichte noch nicht mal richtig angefangen :)
(sie wird in den nächsten Tagen noch kräftig Fahrt aufnehmen … :twisted: )

…und ja: auf Kitsch reagiere ich idR mit Hautausschlag und unstillbarem Erbrechen ;) Sollte ich je anfangen, kitschige Stories zu schreiben, wird es Zeit, mich ins Pflegeheim einzuweisen :shock:
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coopro
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Re: Türchen 1

Beitrag von coopro »

bluemoon hat geschrieben:…und ja: auf Kitsch reagiere ich idR mit Hautausschlag und unstillbarem Erbrechen ;) Sollte ich je anfangen, kitschige Stories zu schreiben, wird es Zeit, mich ins Pflegeheim einzuweisen :shock:
Hehe, das merke ich mir! :mrgreen: Kitsch ist auch so gar nicht meines.
Benutzer 2042 gelöscht

Re: Türchen 1

Beitrag von Benutzer 2042 gelöscht »

Zuerst trifft einen Verwunderung beim an-lesen des ersten Türchens . . . aber spätestens als die wehrte Wirtin Frau Rötlin die Kammer betritt, ist man gewillt sich auf diese wirre Fiktion einzulassen! . . . ha, ha, ha
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