Türchen 12

Erfundene Geschichten rund um das große Geschäft bei den Mädels. Hier könnt Ihr Eurer Fantasie freien Lauf lassen!
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bluemoon
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Türchen 12

Beitrag von bluemoon »

12.

„Wer seid Ihr, Herr?“, fragte sie zwar höflich, aber mit einem nicht zu übersehenden Misstrauen im Blick.
„Man nennt mich Pirmin. Ich bin Medicus“, antwortete ich beiläufig.
Sie riss überrascht die Augen auf. „Seht euch doch mal um“, stieß sie verbittert hervor, „sieht es hier etwa so aus, als ob wir Euch bezahlen könnten?“
Ich winkte müde ab. Es gab Wichtigeres zu tun, als mich herumzustreiten.
„Mein Knappe muss jeden Moment hier sein. Haltet draußen nach ihm Ausschau und führt ihn sofort zu mir, wenn er da ist.“
Sie wollte schon davonstürzen, als ich sie am Ärmel zurückhielt. „Eure Tochter ist sehr schwach. Ich weiß nicht, ob ich ihr noch helfen kann.“ Es zerriss mir das Herz, in ihr verzweifeltes Gesicht blicken zu müssen. „Ich werde alles versuchen, was ich kann, aber macht euch nicht zu viel Hoffnung.“
Sie riss sich los und rannte auf die Gasse hinaus.

Ich kniete mich wieder neben das Mädchen und betastete den geschwollenen Hals, als mich ein meckerndes Gackern hinter mir zusammenfahren ließ.
„Ein Medicus, der nicht das Blaue vom Himmel herunter verspicht! Dass ich das auf meine alten Tage noch erleben darf …“ Ein uraltes, tief gebeugtes Weiblein humpelte zum Licht. Ihr Gesicht sah aus wie ein verschrumpelter Apfel, aus dem eine Hakennase herausstach, der Rücken war zu einem gewaltigen Buckel verkrümmt. Die gichtigen, mit Warzen übersäten Hände lagen wie Krallen auf einem Gehstock.

„Und wer seid Ihr?“, fragte ich.
„Niemand“, fauchte sie, „das Kind hat die Halsfäule. Es wird in den nächsten Stunden ersticken oder an den Giften der Krankheit sterben. Ihr verschwendet nur eure Zeit.“
Das war eine bemerkenswert präzise Diagnose.
„Mir ist die Krankheit unter dem Namen Diphterie bekannt“, begann ich und dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte ich: „Habt Ihr sie behandelt?“
Mir waren die Wadenwickel aufgefallen, dazu ein paar Amulette, halb im Stroh vergraben und eine Salbe, die dick und ölig auf dem geröteten Hals glänzte.

Die Alte schnaubte. „Behandelt“, wiederholte sie verächtlich, „sehe ich aus wie ein studierter Magister? Ich habe ihr kalte Umschläge gewickelt und die Salbe hergestellt. Und ja: Ich habe die Schutzzeichen gemacht, den Hals besprochen und die Hände aufgelegt. Wollt Ihr mich nun bei den Bütteln melden?“

„Habt Ihr denn keine Angst, dass sie Euch dafür den Prozess machen könnten?“, fragte ich verwundert.
Sie lachte höhnisch. „Ich bin zu alt, um noch vor irgendetwas Angst zu haben. Ich warte hier, dass der Tod die Kleine holen kommt. Vielleicht nimmt er mich dann auch gleich mit. Wär‘ sicher nicht das Schlechteste.“

Ich lächelte. „Mit Besprechungen und Schutzzeichen kenne ich mich nicht aus. Aber was habt Ihr in die Salbe gemischt?“
Wenn sie sich darüber wunderte, dass ich als ‚Medicus‘ ein Kräuterweiblein wie sie ernst nahm, zeigte sie es zumindest nicht.
„Schafgarbe, Wundklee, Kampfer und Thymian. Dazu Hühnerbrühe, Bienenhonig und Talg“, gab sie nüchtern Auskunft.
„Bis auf den Talg sind das alles stark entzündungshemmende Stoffe“, murmelte ich beeindruckt.
„Es hat aber nicht gereicht“, zischte sie wütend, „ich habe nur ihr Leiden verlängert. Ohne alles wäre sie vor einer Woche schon gestorben.“

Bevor ich darauf antworten konnte, war Antoinette endlich da.
Mit ihm kam der Vater der Familie herein. Jammernd rang er die Hände, lamentierte, dass ihn sein jüngster Sohn mit einem teuren Medicus ins Unglück gestürzt hätte und das alles wegen eines kleinen Kindes – das noch nicht einmal ein Junge sei!

Ich beachtete ihn nicht, sondern konzentrierte mich auf mein Medizinkästchen.
Antoinette hatte ich gezeigt, wie Spritzen vorbereitet werden und sie war dabei, Amoxicillin aufzuziehen. Glukose- und Kochsalzlösung hatte sie schon bereitgelegt.
Jetzt zahlte sich aus, dass sie mir unendlich viele Fragen zu meiner Notfallausrüstung gestellt hatte.

Ich legte einen Venenzugang in der Armbeuge des Mädchens.
Als der Vater meine Gerätschaften sah, verstummte sein Gejammer abrupt. Dann schrie er auf, dass der Leibhaftige in seinem Haus sei. Die Mutter trat nun mit energischem Gesicht zu ihm und zischte mit einer Stimme wie Stahl auf Glas nur ein einziges Wort: „Hinaus!“
Selten habe ich jemanden so schnell die Kurve kratzen sehen …

Ich hängte den Beutel mit der Glukose an einen Dachbalken und ließ die Lösung langsam in die Vene tropfen. Der Puls der Kleinen war noch immer beängstigend schnell und ihr Atem ging zunehmend mühsamer. Sie war ohne Bewusstsein.
Die Mutter war auf die Knie gesunken und betete. Die alte Hexe sah äußerst interessiert zu und hatte ihre Augen überall.

„Jetzt gilt es“, murmelte ich und spritzte das Amoxicillin.
Zuerst sah alles ganz gut aus. Der Puls wurde ruhiger. In das bleiche Gesicht kehrte etwas Farbe zurück.

Dann aber ging alles schief.
Von einer Sekunde zur anderen setzte die Atmung aus. Rasch bog ich dem Kind den Kopf so weit in den Nacken, dass es aussah, als wollte ich ihm den Hals brechen. Ich setzte den Tubus an und betete, dass die Luftröhre noch weit genug geöffnet war. Einen Luftröhrenschnitt hätte die Kleine sofort getötet.
Ich brauchte vier oder fünf Versuche, dann glitt der Silikonstutzen endlich in die richtige Position. Antoinette übernahm den Blasebalg und beatmete kontrolliert und gleichmäßig.
Pipihannes
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Re: Türchen 12

Beitrag von Pipihannes »

Hallo

Und schnell nach oben mit Nr. 12

LG Pipihannes
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lunacy
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Re: Türchen 12

Beitrag von lunacy »

Oha, jetzt wird es dramatisch..... befinde mich grad echt in der Zwickmühle, ob ich weiterlesen sollte..................nein, ich werde stark sein und bis morgen warten.

In den heutigen Teil der Geschichte hätte "unser" Thema in keiner Weise hereingepasst. Wieder mal alles richtig gemacht, bluemoon! Chapeau!
Viele Grüße von
lunacy 8-)
Benutzer 2042 gelöscht

Re: Türchen 12

Beitrag von Benutzer 2042 gelöscht »

Ja, Du hast Recht, Lunacy. Daß Bluemoon "unser Thema" (nett! Klingt wie: "Hör mal! Sie spielen "unser Lied" . . . ha, ha, ha) hier nicht einflicht ist von der Spannung, die er da gerade hoch-schraubt nicht notwendig. Und wie schön er mit den alten Rollen, wie der Kräuterhexe und dem Vater, der lieber einen gewinn-brindenen Sohn gehabt hätte, spielt . . . toll! . . . Intubieren im Mittelalter . . . herrlich!
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